Der Mutmacher
Der Mutmacher 20
Liebe Elzerin,
lieber Elzer,
während meiner kaufmännischen Ausbildungszeit musste ich morgens für die Belegschaft einkaufen. Zuerst machte ich einen Gang durch Büros und Werkstatt, um Bestellungen aufzunehmen, hauptsächlich belegte Brötchen, Getränke und Süßigkeiten. Dann ging ich in den zwei Häuser entfernten Tante-Emma-Laden, um einzukaufen.
Den Laden gibt es schon viele Jahre nicht mehr, aber ich habe immer noch die Stimme von Frau Hofmann - der Besitzerin - im Ohr, die mich, wenn ich jeden Artikel einzeln gezahlt hatte, regelmäßig aufforderte: "Herr Schöler, nehmen Sie sich doch ein Kartönchen
(gesprochen: Kartöngchen)."
Neben dem Eingang lagen in einem kleinen Verschlag die Kartons und Kartönchen, noch nicht zerkleinert und zerrissen, sondern bereit, Kunden zu helfen, die Einkäufe nach Hause zu bringen.
Wenn ich heute etwas geschickt bekomme, und einen kleinen Karton öffne, denke ich gerne an das Wort "Kartönchen" von Frau Hofmann, das ich vorher noch nicht kannte - kleine Kartons waren für mich Schachteln.
Der Einkauf für die Kolleginnen und Kollegen hat nicht zu meinen eigentlichen Aufgaben als Auszubildender im kaufmännischen Bereich gehört, aber ich habe ihn gern gemacht. Den Laden habe ich noch genau vor Augen, ebenso wie Frau Hofmann in ihrer weißen Kittelschürze, die geschäftig zwischen Brot-, Käsetheke und Gemüsesortiment hin und her eilte, weil sie jede Scheibe Käse an der Gemüsewaage einzeln abwog, um den aktuellen Brötchenpreis zu ermitteln.
Diese Erinnerungen mag ich; sie rufen viel bei mir wach, eine Zeit vor … Na ja, wir schrieben noch ein 19 vor das Jahrzehnt und bereiteten uns noch nicht wirklich auf den Jahrtausendwechsel vor .
Erinnerungen können was Wertvolles sein, ein Gedenken an längst Vergangenes und Schönes, an Heiteres und neue Erfahrungen.
"Das werde ich nie vergessen!" Höre ich oft, und dann folgt eine Episode aus dem Leben der erzählenden Person und ich wünsche diesem Menschen dann, dass sie dieses schöne oder bewegende Ereignis wirklich nicht vergisst.
Leider ist es uns nicht immer gegeben, an der Aussage "Das werde ich nie vergessen!" bis in das hohe Alter festzuhalten.
Das Gedächtnis verlässt viele Menschen im Laufe des Lebens, Ereignisse sind dann nicht mehr abrufbar, werden mit anderen Erlebnissen vermischt oder geraten gänzlich in Vergessenheit. Alltägliche - jahrzehntelange - selbstverständliche Handlungen gehen verloren, Familienangehörige werden womöglich nicht mehr erkannt und längst verstorbene Wegbegleiter werden erwartet, so als würden sie im Leben dieses Menschen noch präsent sein.
Außer der Hoffnung, dass uns unser Gedächtnis nicht verlässt, bleibt uns leider nicht viel.
Wir können auf der einen Seite versuchen Ereignisse zu bewahren, wir archivieren sie in Bildern, Artikeln, im Tagebuch, geben sie weiter an Kinder und Enkel und wir können uns daran erfreuen, solange uns die Gabe der unverfälschten Erinnerung geschenkt ist.
Auf der anderen Seite können zuhören und aufnehmen, das was uns andere Menschen mitteilen und anvertrauen. Oft ist das schon genug, den alten Menschen zuzuhören, aufmerksam und achtbar zu sein. Das genügt oft schon in unseren Tage.
Wir dürfen die sichere Hoffnung haben, dass in Gott nichts verloren geht. Er erinnert sich in Liebe an alles, was gewesen ist, auch wenn wir uns nicht mehr erinnern.
Auch die jüngere oder mittelalte Generation wird einmal zu den Altern gezählt werden und dann sicher froh sein, gehört zu werden und sich mitteilen zu dürfen.
Lassen Sie uns jetzt schon einmal das Zuhören üben. Es lohnt sich!
Es grüßt Sie,
Diakon Lars Schöler
Hier auch als pdf zum herunterladen
unter "Gottesdienst" ist die ganze Reihe zu finden.